Mit langweilig schön zitiere ich eine ehemalige Arbeitskollegin von Pädu bei Biketech, Flyer. Damals beim Abschiedskaffee schwärmte Marlis von dieser Gegend, vor allem Estland und sagte abschliessend es sei einfach langweilig schön. Darunter konnten wir uns nur vage was vorstellen. Doch heute in Tallinn, fast am Ende der Reise durch’s Baltikum, können wir es ganz klar bestätigen und würden es auch unterschreiben: definitiv sehr schön aber anhaltend dann doch langweilig.

Die Landschaft ist immer grün, die Strassen verlaufen durch Wälder, entlang Raps- und Kornfeldern oder entlang satter, grünen Wiesen. Solange kein Regen fällt, ist es oben blau, unten grün. Dieses Bild zog sich nun wirklich seit Polen hin, bis nach Tallinn, wo wir im Moment gerade weilen.

Die Grenze nach Litauen überquerten wir beim Dreiländereck Polen, Kaliningrad (Russland) und Litauen. In Polen schien noch die Sonne, just ein paar Meter nach der Grenze begrüsste uns Litauen mit starkem Regen. Eigentlich wollten wir im Zelt übernachten doch dieses Vorhaben verwarfen wir rasch. Im Ort Vistytis hofften wir auf eine Unterkunft. Im einzigen Gästehaus war eine Hochzeit im Gange – geschlossene Gesellschaft. Schlussendlich landeten wir in einem ehemaligen Imbissrestaurant/Bar mit ein paar Betten im Obergeschoss und einer noch funktionstüchtigen Küche. Unser Abend war gerettet.

Bereits am nächsten Tag freuten wir uns auf eine private Übernachtung. Victoria und ihre Eltern nahmen uns für eine Nacht auf ihren Bauernhof. Es war ein Vergnügen, sich mit Victoria über Land und Leute zu unterhalten, während ihre Mutter uns reichhaltig bekochte. Endlich konnten wir unsere Mägen nach tagelangem Linsen schlürfen wiedermal mit reichhaltiger Hausmannskost vollhauen. Die Speise welche uns serviert wurde ähnelte verdächtig unseren Capuns und schmeckte einfach hervorragend. Und als wir nach einem kleinen Spaziergang zu Victorias Summerhaus (ein Chalet im Grünen) nach einem Kaffee fragten, kriegten wir nicht nur dieses sondern serviert dazu: Käse, Honig, Marmelade, Brot, Keckse, Schoggi, Glace, usw. Ein wahres Festessen.

Übertrumpft wurde der Abend am nächsten Morgen. Victoria offenbarte uns, dass es Hühnchen gibt. Hmm, Hühnchen zum Frühstück?! Und ja, Frühstück war Hühnchen mit Reis, Bulgur, Kohlsalat, Gurken&Tomaten, belegte Brötchen mit Lachs und Wurst, usw. Einfach unglaublich was uns hier geboten wurde. Victorias Mutter meinte nur, wer weit radeln will muss auch was essen. Recht hat sie 🙂  

Bis nach Riga, dies dann bereits in Lettland, hatten wir wechselhaftes Wetter. Die Sonne kämpfte, nur auch der Regen oder zumindest der Niesel hatte seinen täglichen Auftritt. So zu radeln macht auf die Dauer keinen Spass. Obschon unsere Regenkleider sind top aber die gute Laune aufrechtzuerhalten war schwierig. Die Balten sind sich aber einig. Das Wetter ist definitiv völlig atypisch. Im Sommer ist es meistens zwischen 25-27 Grad und kaum Regen.

Riga ist eine Reise wert. Angekommen bei wiederum ströhmendem Regen, verbrachten wir zwei sonnige und geschichtsträchtige Tage. Wir besuchten das ehemalige KGB-Gebäude. Was hinter dessen Mauern abging, ist wiederum ein trauriger Abschnitt sowietischer Geschichte. Menschen die an diesen Ort einberufen wurden, verschwanden meist spurlos. Die „Glücklicheren“ unter ihnen erhielten eine Fahrkarte nach Sibirien, die dem Staat Nutzlosen oder Gefährlichen, eine Kugel in den Kopf. 

Ironie des Schicksals: Da heute mehr als 40% Russen in Lettland leben, feiert man den Tag der Befreiung vom Deutschen Reich als Feiertag, obschon Lettland bis 1990 unter der Russichen Besatzung nicht weniger unterdrückt wurde. 
Riga ist aber ein Ort voller cooler Bars & Cafes. Die Strassen voller Leben und Altstadt voller Historie. Am Freitag wollten wir uns einem Friday-Night-Ride anhängen. Einer Velo-Ausfahrt also. Start war um 22:00. Mit den langen Tagen des Nordens war der späte Start auch ok. Wir erhofften uns jedoch einen easy Ride durch die Stadt, wobei die Organisatoren eher an einen längeren Ausflug durch die Nacht dachten. Als wir dies realisierten, waren wir zwar bereits 20km aus der Stadt, für uns aber Zeit umzudrehen. Und nach einem Bier versöhnten wir uns auch mit diesem Vorhaben. 

Wir sind nun wieder vermehrt am wild Campen. Die Landschaft eignet sich hervorragend dafür, auch wenn die Mücken ihre wahre Freude daran haben. Ohne Mückenspray, ein Ding der Unmöglichkeit. Die Dämmerung und Feuchtigkeit sind beides top klimatische Vorraussetzungen für die lieben Plaggeister. Wir geben das Terrain dann meistens frei und verkriechen uns im Innenzelt – Mücken-freie-Zone.

In Pärnu quartierten wir uns in ein Hostel. Zu Fuss gings am nächsten Tag auf Entdeckungstour. Die Stadt hat eine kleine aber schöne Altstadt und einen, für nördliche Verhältnisse sogar zum Sonnentanken einladenden Strand (mit Kite-Surf Event). Der Regen verscheuchte uns ins nächste Lokal, wo wir das schlechte Wetter bei Hamburger und Bier aussassen. Auch nicht schlecht, oder?

Weiter ging die Reise mit einem Umweg über Haapsalu (wunderschöne Altstadt) nach Tallinn. Wir haben Glück und unsere Wohnung ist in der wohl angesagtesten Gegend. Nur ein Steinwurf von der Altstadt, wohnen wir neben einer alten Fabrik, umgebaut zum Hypsterquartier mit Bars, Restaurants, Kino, Shops, Flohmi’s , usw. Der Altstadt selber statteten wir natürlich auch einen Besuch ab. Die Masse an Touristen (es lagen gerade zwei Aida Dampfer im Hafen) schlug uns aber schnell wieder in die Flucht. So genossen wir hier die Tage (4 insgesammt) vorallem in und um die Wohnung. Entspannung pur.  

Unser Russland Visum beginnt am 1. August. Bis dahin geniessen wir das endlich herrschende Sommerwetter in Estland. Wir sind sehr gespannt was uns in Russland erwartet und hoffen auf eine abwechslungsreichere Landschaft. Den Kontakt zu den Menschen wird wohl nicht mehr als im Baltikum sein – rar. So sind halt die Nationen verschieden.

Auf bald und lieber Gruss,

Körndle & Patrik